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Klassenchats: Segen oder Fluch?

Letzte Aktualisierung: 02.02.2024

Ab der weiterführenden Schule sind eigene Smartphones bei Schülerinnen und Schülern weit verbreitet. Für den Kontakt zu Klassenkameradinnen und -kameraden bieten sie viele Vorteile: über Klassenchats kann eine kurze Rückfrage zu Hausaufgaben gestellt werden und man bekommt die Info, wenn die erste Stunde ausfällt. Daneben werden Links, lustige Bilder und angesagte Videos geteilt.

Mehr als die Hälfte der 10-Jährigen hat ein eigenes Handy und fast alle Teenager verfügen darüber (KIM- und JIM-Studie). Fast alle Jugendliche nutzen täglich oder mehrmals die Woche Messenger-Dienste zum schnellen Schreiben. Der verbreitetste Dienst ist WhatsApp (abgeschlagen folgen Telegram, Signal und Threema). Dabei ist die Nutzung von WhatsApp ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten erst ab 16 Jahren erlaubt.

Der Vertrauensvorschuss der Eltern ist berechtigt, denn in den Medien lernen Kinder auch über die Medien. Je jünger Kinder sind, desto mehr Unterstützung brauchen sie allerdings. Denn häufig kommt es auch im Klassenchats zu Streit, Gerüchten, Mobbing oder es werden kritische Inhalte geteilt. Es ist bei jungen Menschen kaum noch möglich, zwischen der analogen und der digitalen Welt zu unterscheiden, da beide eng verwoben sind – im Guten wie im Schlimmen. In sehr vielen Klassenchats tauchen irgendwann erotische bis pornografische Bilder, Memes oder Videos auf. Aus dem Netz kopiert, selbst bearbeitet oder aufgenommen.

Mädchen um die 15 Jahre alt sitzt auf dem Pausenhof und schaut auf ihr Smartphone

In der digitalen Ära der weiterführenden Schule sind Smartphones allgegenwärtig. Klassenchats bieten Schüler/-innen eine Plattform für Hausaufgabenfragen und wichtige Infos. Doch hinter der scheinbaren Normalität verbergen sich auch Herausforderungen – von Streit bis zu unerwünschten Inhalten. | Adobe, MYDAYcontent

Problematische Bilder im Chat

Dass Kinder und Jugendliche Interesse an Liebe, Lust und Sexualität haben, ist normal: Ihr Körper verändert sich und sie reifen zu Erwachsenen heran. Vielen ist es peinlich, offene Fragen mit Erwachsenen zu besprechen und fragen stattdessen das Internet. Laut Studien stößt jeder vierte Teenager monatlich ungewollt auf pornografische Inhalte im Netz. Jedem fünften 12-jährigen Kind wurden bereits erotische Bilder zugesendet.

Dabei ist es gesetzlich verboten Minderjährigen pornografische Inhalte zugänglich zu machen. Noch folgenschwerer ist es, wenn es sich um Bilder von unter-14-jährigen handelt. Das ist Kinderpornografie, bei der schon der Besitz strafbar ist. Das gilt auch dann, wenn die Aufnahmen einvernehmlich, beispielsweise in einer Teenie-Beziehung entstanden sind. Zwischen 14 und 16 Jahren spricht man von Jugendpornografie, die per se nicht verboten ist, wenn alle Beteiligten zugestimmt haben. Aber das Netz vergisst nichts – und ob dies eine gute Idee ist, sollte man sich vorher überlegen.

Aber auch ‚gefundene‘ Bilder aus dem Netz bleiben nicht ohne Folgen: die meisten Darstellungen der Mainstream-Pornografie sind in Bezug auf Geschlechterrollen sehr stereotyp. Über die Darstellungen verbreiten sich Normalitätsvorstellungen, denen einige junge Menschen in ihren späteren Beziehungen folgen, wenn sie keine besseren Informationen haben. Pornos sind keine Lehrfilme, insbesondere nicht für Kinder, sondern Fantasiewerke für Erwachsene. Und kein Mensch käme auf die Idee, Spiderman mit der Wirklichkeit zu verwechseln.

Jemand hält einem jungen Mann ein Smartphone vor die Nase.

Leider werden unangemessene Inhalte wie z. B. pornografische Bilder auch in der analogen Welt von Heranwachsenden geteilt. | Karolina Grabowska

Pornos im Klassenchats sind nicht lustig

Wenn Bilder, die beim ‚sexy texten‘ (Sexting) entstanden sind, im Klassenchat geteilt werden ist das zuerst mal: peinlich! Die Intimsphäre der abgebildeten Personen wird dabei in die Öffentlichkeit gezerrt, Abgebildete laufen schamesrot an, sind verletzt, ziehen sich zurück oder Schlimmeres. Auch für andere ist der offensichtliche Vertrauensbruch peinlich. Manche scherzen darüber oder verbreiten die Bilder weiter, um ihre Unsicherheit zu überspielen. In unserem Podcast ‚Schoolcrime‘ werden reale Fälle und Konsequenzen für Verursacher und Betroffene dargestellt.

Kinder und Jugendliche lernen noch, wie man sich in (Sozialen) Medien bewegt. Es gibt informelle Regeln, die klarstellen, dass (private) erotische oder pornografische Inhalte nichts in (öffentlichen) Klassenchats zu suchen haben. Wenn Lehrkräfte davon mitbekommen, können sie in Bezug auf Verursachende disziplinarisch reagieren, die Regeln mit allen anderen Beteiligten klären und Betroffenen Unterstützung anbieten. Insbesondere bei Abbildungen von Kindern kann auch die Polizei eingeschaltet werden – Kinderpornografie ist ein Verbrechen, bei dem die Polizei kein Auge zudrückt.

Widerstandskraft stärken

Früher oder später kommen fast alle jungen Menschen mit aufreizenden oder pornografischen Bildern im Netz in Berührung. Wie können Erziehungsberechtigte die Folgen erträglich halten?

Aufklärung hilft

Zunächst sollten bereits Kinder verstehen, dass Liebe, Nähe, Zärtlichkeit und auch Sex schön sind, wenn alle Beteiligten das schön finden. Wenn Kinder auf ihr Bauchgefühl hören können und das machen, was sich gut anfühlt – aber das lassen, was sich nicht gut anfühlt, ist viel gewonnen.

Sexuelle Aufklärung ist bei jungen Menschen wie Trockenschwimmen: eine gute Vorbereitung, aber im Wasser ist vieles anders. Neben der Theorie sollten Eltern auch bei ersten Schwärmereien und Flirts gesprächsbereit sein, zuhören und praktisch unterstützen. Dazu gehört auch, ‚Nein sagen‘ zu lernen, wenn sich etwas nicht gut anfühlt, oder man manche Bilder nicht sehen will. Sexualität kann sehr schön sein, wenn man das weglässt, was sich nicht gut anfühlt.

Let’s talk about Porno

Anlässlich des Safer Internet Day stellt die Initiative klicksafe viele Informationen zur Verfügung. Neben Infoblättern für Eltern, Infokarten für Jugendliche und einem Quiz gibt es das Handbuch „Let's talk about Porno: Sexualität, Identität und Pornografie“ kostenfrei als Download.
Darin gibt es auch Leseempfehlungen, wie man sich auf unverblümte Kinderfragen vorbereiten oder welches Aufklärungsbuch man ab 14-jährigen zukommen lassen kann.

Smartphones kindersicher machen

Eltern kennen das von allen Medien: es braucht Regeln, damit sich Kinder nicht in ihnen verlieren. Bei digitalen Endgeräten gibt es eine Vielzahl von technischen Einstellungen, die dem Jugendschutz helfen. Bei jüngeren Kindern sollten das die Erwachsenen übernehmen, die auch vereinbaren können, ab und an in den Klassenchat schauen zu dürfen. Je besser sich das Vertrauensverhältnis einspielt, desto seltener sollte man kontrollieren (müssen).

Klassenchat im Unterricht

Wenn der Chat den Unterricht beeinflussen kann, sollte er auch Thema in der Klasse sein. Die Klassenchat-Regeln sollten gemeinsam entwickelt und erklärt werden. Negatives wie Beleidigungen, Lästern, der Ausschluss von Einzelnen sollte untersagt sein. Für die Klärung von ernsten Themen und Streit ist das direkte Gespräch besser geeignet – und vielleicht ist es eine gute Idee, die Nutzungszeiten zu begrenzen. Die fixierten Regeln können angepasst werden, wenn die Kinder älter werden. Die Initiative klicksafe bietet dafür sogar eine beispielhafte Unterrichtseinheit mit Vorlagen an.

Mädchen liegt auf ihrem Sofa und schaut auf ihr Smartphone

Neben klaren Regeln wie einem Mediennutzungsvertrag hilft es, sich die Einstellungen der Messenger-Apps genau anzuschauen. Hier lässt sich u. a. der automatische Download von Bildern unterbinden. | Karolina Grabowska, Pexels

Verbotene Inhalte: was tun?

Tipps für Erwachsene

Wenn Sie als Erwachsene – Lehrkräfte oder Eltern – erfahren, dass verbotene Inhalte im Klassenchat geteilt wurden, gilt zunächst: Ruhe bewahren und besonnen handeln! Suchen Sie das Gespräch mit den Verursachenden, den Betroffenen, der Klasse und gegebenenfalls der Klassenpflegschaft.

Häufig geht bei der Beschäftigung mit den Verursachern das Augenmerk auf Betroffene und Geschädigte unter. Dabei brauchen diese jungen Menschen, im diskreten Rahmen, besondere Aufmerksamkeit und Trost. Vielleicht ist externe Hilfe nötig? Spezialisierte Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt haben wir unten verlinkt.

Wenn erotische oder pornografische Bilder von unter 14-Jährigen geteilt werden, ist das Kinderpornografie. Allein das Herunterladen, Nicht-Löschen oder gar Teilen sind schwere Straftaten mit weitreichenden, strafrechtlichen Konsequenzen. Machen Sie sich nicht strafbar, wenn Sie helfen wollen.

Wenn es ein Vorkommnis mit Pornos im Klassenchat gab: Lernen sie daraus! Kinder und Jugendliche haben den Sinn der Regeln vielleicht noch nicht verstanden, die Klasse kann in Zukunft besser reagieren und die Schule zu einem sichereren Ort werden. Wer aus Fehlern nicht lernt, macht alles falsch.

Tipps für junge Menschen

  1. Beteilige dich nicht! Verbreite keine verbotenen Inhalte – du könntest selbst Probleme bekommen und betroffenen Personen schaden.
  2. Informiere Erwachsene! Bitte Erwachsene – Lehrkräfte, Eltern, Vertrauenspersonen – um Hilfe. Gemeinsam könnt ihr Lösungen finden und Ärger vermeiden.
  3. Lösche problematische Inhalte! Wenn du erotische oder pornografische Bilder im Klassenchat bekommst: a) schreibe, dass du solche Bilder nicht möchtest, b) lösche die Bilder, c) informiere mindestens einen Erwachsenen – und wenn das nichts hilft: d) verlasse die Gruppe.
  4. Sprich mit anderen darüber! Wenn du Bilder bekommen hast, die dich verunsichert, erschreckt oder verstört haben, sprich mit vertrauten Menschen darüber. Mit deinem Lieblingsmenschen, deinen Eltern oder einem Erwachsenen, dem du vertraust. Wenn du das nicht willst, gibt es auch die „Nummer gegen Kummer“, die anonym hilft.

Pädagogische Angebote des LMZ

Schülerworkshop “Jugendsexualität und Internetpornografie” (Sek. 1)

Im Workshop lernen Teilnehmende Pornografie von anderen Darstellungen der Nacktheit und Sexualität zu unterscheiden. Zudem werden die Auswirkungen von Pornokonsum auf die eigene Vorstellung von Sexualität sowie rechtliche Aspekte. Buchbar über das Programm „101 Schulen”.

Elternabend “Gewalt und Pornografie in den Medien”

Bei dem Elternabend wird erklärt, wie Minderjährige vor nicht-altersgerechten, gewaltvollen und pornografischen Inhalten geschützt werden, wie Erziehungsberechtigte reagieren und wie Kinder und Jugendlichen altersgerecht begleitet werden können. Buchbar über das Eltern-Medienmentoren-Programm.

Unsere Beratungsstelle hat ein Ohr für Sie!

Bei individuellen Fragestellungen und Problemen rund um die digitale Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen hilft die medienpädagogische Beratungsstelle weiter:

Mo. – Do.: 8:30 bis 16 Uhr
Fr.: 8:30 bis 13 Uhr
Tel.: 0711 4909-6321
E-Mail: Beratungsstelle@lmz-bw.de

Beratungsangebote und Anlaufstellen

Medienangebote

Medienangebote auf SESAM

Grundschule Klassenstufe 3-4:

Sekundarstufe I:

Erwachsenenbildung:

Weitere LMZ-Angebote und Linktipps

Podcast ‚Schoolcrime‘

Podcast des SMZ Stuttgart / LMZ: School Crime (Folge 3: verstörende Sticker)

Andrea Zeisberg

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